(Nachfolgender Text ist aus einem Management-Bericht, welcher über die Resultate der Studienarbeit "Lean Management in kirchlichen Organisationen - Lean Management als Schlüssel zum Erfolg?" berichtet. Die Studie wurde am 18. Juni 2017 an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich eingereicht und mit Bestnote ausgezeichnet.)
Die Situation von Kirchen ist spannend, da die Mitgliederzahlen im deutschsprachigen Raum stark rückgängig sind. Die Bevölkerung schätzt zwar christliche Werte, bringt diese aber nicht mehr zwangsläufig mit Kirche in Verbindung. Die Herausforderungen, welche sich den Kirchen in zunehmendem Masse stellen, sind künftig Verschwendungen zu eliminieren, ihre Wertschöpfung zu erhöhen und das unter einer gesteigerten Qualität des Angebots. Die Komplexitätszunahme der Kirchenführung stellt ebenso eine Herausforderung dar, wie die Erneuerung der Formen und Angebote der Kirchen.
Das Problem gründet darin, dass viele Kirchen vor einem Rollenwechsel stehen. Neben ihrem bislang einzigen Auftrag, die Versorgung mit Lehre der Gläubigen, sollten zukünftig auch ihre Führungsqualitäten im Fokus stehen. Dies setzt ein gutes betriebswirtschaftliches Management und eine souveräne Steuerung sämtlicher Prozesse voraus. Allerdings stecken viele Kirchen diesbezüglich noch in den Kinderschuhen. Damit Kirchen wieder relevant werden, müssen sie zwingend ihre Verschwendungen erkennen und durch Wertschöpfung ersetzen. Leider kennen nur die wenigsten geistlichen Leiter die Prinzipien des Lean Managements.
Lösungsansätze, um wieder gesellschaftliche Relevanz zu erlangen, liegen grundsätzlich in der Spezialisierung von Kirchen und im Abbau von Hürden für die Gesellschaft. An einer gekonnten Steuerung der Prozessoptimierung führt jedoch für alle Kirchen kein Weg vorbei. Die Denkweise des Lean Managements kann auch in Kirchen angewendet werden. Dabei ist darauf zu achten, dass es sich um ein People Business und nicht um Produktionsbetriebe handelt. Ausserdem muss dem Faktor Mensch eine bedeutendere Rolle zugeordnet werden, als es im sachorientierten Lean Management der Fall ist.
Die Spezialisierung auf gesellschaftliche Trends und der Abbau an Hürden sind durch die rückläufigen Mitgliederzahlen zu begründen, wodurch die Kirche an Relevanz verloren hat. Die Erklärung, dass Kirchen fähig sein müssen ihre Prozesse wertschöpfend zu steuern, ist ebenfalls simpel: Soweit Kirchen in der Lage sind, sämtliche Prozesse zu dokumentieren, die Ergebnisse mit Kennzahlen zu überprüfen und mittels Lean Management zu optimieren, werden sie ihre gesellschaftliche Relevanz und auch die Betriebswirtschaftlichkeit merklich verbessern.
Im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie wurde bei Leitern und Pastoren von kirchlichen Organisationen eine Umfrage zu Lean Management durchgeführt. An der Umfrage haben sich 112 Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich beteiligt. 57 davon sind Pastoren und Gemeindeleiter. Versendet wurde die Umfrage an 130 Adressaten wobei 10 Personen gebeten wurden, die Umfrage an Berufskollegen weiterzuleiten. Die Beteiligung der Angefragten ist dementsprechend hoch.
Der Inhalt der Umfrage
Die Umfrage umfasste zehn Fragen sowie fakultativ die Nennung der Organisations-zugehörigkeit. Die Fragen waren folgende:
-
Haben Sie eine leitende Funktion in einer kirchlichen Organisation?
-
Wie viele Teilnehmer besuchen Ihre Kirche regelmässig?
-
Nutzen Sie in der Führung betriebswirtschaftliche Methoden (z.B. Organgram, Vision, Ziele, Strategie, Projektmanagement, Führungsausbildung, Protokolle, Planung)?
-
Wie gut kennen Sie Lean Management (siehe dazu: www.lean-church.com)?
-
Wissen Sie, wo in Ihrer Organisation die 7 + 1 Arten der Verschwendung liegen?
-
Wissen Sie, wie Sie Ihre Organisation nach Lean Management ausrichten?
-
Wissen Sie, wie Sie die Wertschöpfung Ihrer Organisation optimieren?
-
Wenn Lean Management Ihrer Organisation einen Nutzen bringt, würden Sie mehr davon anwenden wollen?
-
Hat Ihre Organisation einen organisierten kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP)?
-
Würden Sie eine Lean Management Beratung nutzen?
Hintergrund über das Teilnehmerfeld
Teilgenommen haben Pastoren sowie Personen, welche in leitender Position sind von den unterschiedlichsten Denominationen. Die Umfrage war zwar Anonym, aber mit der Möglichkeit, die Denomination anzugeben. Diese sind von konservativ bis liberal zu deuten. Die Grösse der Gemeinden wurden in kleine Gemeinden (3 bis 100 Personen), normale Gemeinden (100 bis 250 Personen), mittelgrosse Gemeinden (250 bis 1000 Personen) und grosse Gemeinden (1000 und mehr Personen) unterteilt. Teilnahmen konnten aus allen Grössen verzeichnet werden, woraus ein sehr heterogenes Teilnehmerfeld interpretiert werden darf. Grob unterteilt sind drei Viertel aus kleinen und normalen Gemeinden, ein Viertel aus mittelgrossen und grossen Gemeinden.
Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen waren zu 51 Prozent Pastoren und Gemeindeleiter und zu 46 Prozent in verantwortlicher leitender Position in einer kirchlichen Organisation. Die restlichen 3 Prozent haben derzeit keine leitende Funktion. Erfreulich ist, dass fast alle, nämlich 95 Prozent betriebswirtschaftliche Methoden wie zum Beispiel Organigramme, Vision-, Ziel- und Strategie-Papiere, Planung und Dokumentation, Projektmanagement und Führungsausbildungen betreiben. Es darf also von einem grundsätzlichen betriebswirtschaftlichen Verständnis ausgegangen werden.
Kenntnisse des Lean Managements
Für die Umfrage wurde eigens eine Website (www.lean-church.com) erstellt, auf welcher sich die Umfrageteilnehmenden informieren konnten. Zentraler Inhalt der Website sind drei Blogeinträge zu den Themen „Basiswissen über Lean Management“, „Wertschöpfung in kirchlichen Organisationen“ und über „die fünf Lean Prinzipien“. Für Personen ohne Lean Management Kenntnisse war es mit diesen Blog-Inhalten trotzdem möglich, an der Umfrage teilzunehmen. Die SEO-Auswertung (Suchmaschinenoptimierung) der Website zeigt, dass die Website ab Umfrageveröffentlichung rege genutzt wurde und in starker Korrelation zu den Beantwortungszeiten der Teilnehmenden steht. Es darf somit davon ausgegangen werden, dass die Teilnehmenden von ihren inhaltlichen Kenntnissen her in der Lage waren, die Fragen real und wahrheitsgetreu zu beantworten.
Die Resultate (auf ganze Prozent gerundet)
Taucht man in der Umfrage in die Materie des Lean Managements ab, sind die vorhandenen Kenntnisse zusammengefasst eher rar. Fast 54 Prozent geben an, dass sie Lean Management noch nie gehört haben. Etwas mehr als 24 Prozent haben Ansatzweise davon gehört.
Spannend ist der Teil von circa 22 Prozent, welche Lean Management kennen. 6 Prozent kennen die Inhalte, wenden sie aber nicht an. 5 Prozent können den Transfer zu ihrer Organisation nicht herstellen. 8 Befragte (entspricht 7 Prozent) geben an, die Prinzipien des Lean Management teilweise anzuwenden und 3 Personen (entspricht weniger als 3 Prozent) davon möchten so viel wie möglich davon anwenden. Nur gerade eine Person gibt an, Lean Management zu kennen, aber nicht anwenden zu wollen.
Diese Angaben werden bestätigt durch die Frage, ob die Teilnehmer wissen, wo sich in ihrer Organisation die 8 Arten der Verschwendung liegen. 88 Prozent kennen die 8 Arten der Verschwendung nicht oder wissen nicht, wo sie sich verstecken. Nur knapp 17 Prozent wissen teilweise oder ganz, wo sich die Verschwendungen befinden.
Müssten die Teilnehmenden ihre Organisation nach den Prinzipien des Lean Managements ausrichten, wüssten nur knapp 18 Prozent ansatzweise, wie das geht. Fünf Teilnehmer wären sich ihrer Sache aber sicher. Hingegen wären fast 82 Prozent der Aufgabe zum jetzigen Zeitpunkt nicht gewachsen. Von den befragten Pastoren sind es sogar annähernd 90 Prozent, die nicht wissen, wie ihre Kirche nach Lean Prinzipien zu organisieren ist.
Die allgemeine Frage nach Wertschöpfung überrascht dann aber umso mehr, denn diese Frage kann unabhängig von Lean Management Kenntnissen gesehen werden. Weiss ein Leiter, wie er die Wertschöpfung in seiner Organisation optimiert oder nicht, war hier die Frage. Nur gerade 19 Prozent sind sich ihrer Sache sicher und 43 Prozent wissen teilweise wie sie ihre Organisation optimieren. Fast 19 Prozent haben keine Ahnung, wie dies zu bewerkstelligen ist. Und ebenfalls fast 19 Prozent haben keine Ahnung davon, was überhaupt die Wertschöpfung ihrer Organisation ist.
Die Beantwortung der Frage, ob Lean Management in der eigenen Organisation mehr angewendet werden würde, wenn dies nachweislich einen Nutzen bringt, wurde von 90 Prozent bestätigt. Aber wie sogar die Frage nach eindeutigem Nutzen zeigt, sind nicht alle bereit Lean Management anzuwenden, selbst wenn es Vorteile bringt. 11 Befragte würden nämlich Lean Management nicht einsetzen, auch wenn der Nutzen nachgewiesen wäre. Hier könnte eine Annahme getroffen werden, dass nur Pastoren, welche in erster Linie einen geistlichen Auftrag haben, den Einsatz von Lean Management prinzipiell ablehnen würden. Dem ist jedoch nicht so, denn es waren lediglich vier Pastoren, die kein Lean Management anwenden möchten. Glücklicherweise trifft diese Abwehrhaltung nur auf eine Minderheit zu.
Ein Prinzip des Lean Managements ist die kontinuierliche Verbesserung. Die Frage, ob die eigene Organisation einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) betreibt, wurde wie folgt beantwortet: Fast 17 Prozent betreiben einen organisierten KVP, fast 36 Prozent betreiben teilweise einen KVP und 31 Prozent sagen aus, dass sie keinen KVP betreiben. 16 Prozent wissen nicht, was ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess ist.
In der Kirchenlandschaft werden in der Regel selten professionelle Beratungsfirmen konsultiert, einerseits aus finanziellen Gründen, andererseits weil Beratungsfirmen oft die Eigenheiten der kirchlichen Organisationen und deren geistliche Inhalte nicht kennen. Der Dritte Grund ist, dass es einfach nicht üblich ist, eine Beratungsfirma zu konsultieren. Eher fragt man unter Berufskollegen nach, orientiert sich an bewährter Literatur und probiert dann etwas auf eigene Faust. Darum erstaunt das Resultat der Frage, ob die Teilnehmer eine Lean Management nutzen würden. Annähernd 19 Prozent würden nicht zögern, satte 63 Prozent würden es sich überlegen. Nur für 18 Prozent steht dies ausser Frage.
Die Abhängigkeit der Organisationsgrösse zu den vorhandenen Lean Kenntnissen
Bohrt man die Resultate der Umfrage etwas auf, kommen folgende spannende Erkenntnisse zu Tage: Von den 112 Teilnehmenden waren immerhin 26 Teilnehmende aus grosse Gemeinden, also ab 250 Mitgliedern aufwärts. 7 Teilnehmende sind aus einer Organisation mit über 1'000 Mitgliedern. In diesen grossen Organisationen sind betriebswirtschaftlichen Methoden ohne Ausnahme im Einsatz. Ebenfalls ist Lean Management eher bekannt in den grossen Kirchen. In den kleinen Organisationen geben 59 Prozent an, noch nie etwas von Lean Management gehört zu haben, im Gegensatz zu den grossen Organisationen, wo dieser Anteil unter 35 Prozent liegt. Verhältnismässig geben von den grossen Playern über 19 Prozent an, Lean Management anzuwenden, hingegen sind es bei den kleinen Organisationen lediglich knapp 7 Prozent.
Allerdings wissen immerhin drei Teilnehmende von kleinen Gemeinden, wo in ihrer Organisation die Verschwendungen liegen, aber keiner der grossen Organisationen weiss das mit Sicherheit. Und auch bei der Frage, ob die Teilnehmenden wissen, wie sie ihre Organisation nach Lean Management ausrichten, übertrumpfen Teilnehmende aus den kleinen Organisationen die grossen: 13 Teilnehmende haben mindestens ansatzweise eine Vorstellung, wie das gehen könnte, nur hingegen 7 in grossen Gemeinden.
Fazit
Die Umfrage zeigt eindeutig, dass Lean Management in Kirchen noch keinen Einzug gefunden hat. Ohne zu übertreiben, kann gesagt werden, dass noch nicht mal die Kinderschuhe vorhanden sind. 80 Prozent kennen Lean Management nicht oder nur ansatzweise und wissen nicht, wie sie ihre Organisation nach Lean Prinzipien ausrichten. Fast 90 Prozent der Befragten wissen nicht, wo sich in Ihrer Organisation Verschwendungen verbergen. Auch auf wackeligen Beinen ist das Wissen bei den Leitern und Pastoren, wenn es darum geht, mehr Wertschöpfung zu generieren. Erfreulich ist allerdings die Quote derer, die gerne mehr Lean Management einsetzen möchten, natürlich vorausgesetzt, dass Lean Management einen Nutzen stiftet.
Der Know-how-Transfer von Lean Management in die Kirchen-Branche hat also noch nicht stattgefunden. Geht man davon aus, dass Kirchen sich erst rudimentär betriebswirtschaftlichem Wissen bedient haben, kann Lean Management durchaus als nutzenstiftende Chance gesehen werden. Dies geht ebenfalls aus den Tiefeninterviews hervor, welche innerhalb dieser Forschungsarbeit mit drei erfahrenen Pastoren geführt wurden. Die Zeiten für Kirchen waren selten so karg, wie sie aktuell sind. Es ist also Zeit zum Aufwachen. Und Lean Management entstand ebenfalls in schwierigen Zeiten und bestand Härteprüfungen in ebensolchen Zeiten. Denke man dabei an die Toyota Erfolgsgeschichte oder die amerikanischen Spitäler, wie beispielsweise das Virginia Mason Medical Center in Seattle, welches nahe der Insolvenz stand, und heute zu den rentabelsten Spitälern gehören. Daraus darf abgeleitet werden, dass je grösser die Not ist, desto grösser ist die Chance, dass Lean Management wirksam eingesetzt werden kann. Warum also nicht in Kirchen, welche sich offensichtlich in einer Krise befinden?