Die Gemeinde durch Prozesse steuern

Was ist ein Prozess?

Ein Prozess definiert sich grundlegend dadurch, dass er ein Input und einen Output hat. Also einen Zustand vor und nach "einer Behandlung". Denken Sie an Ihre Gemeinde. Ihre Gemeinde besteht aus vielen kleinen Prozessen, sogenannten Teilprozessen. Fügt man alle diese Teilprozesse auf ein Blatt Papier, sollten Sie theoretisch in der Lage sein, eine Prozesslandkarte zu zeichnen. Eine Prozesslandkarte sollte zeigen, wie die Gemeinde grundsätzlich funktioniert und was ihr Zweck ist, aber auch, welche internen oder externen Abhängigkeiten bestehen. Sie zeigt grundlegend die Abläufe und Funktionsweise der Organisation und optimalerweise auch, wie der Input zum Output wird. Sie schafft die übergeordnete Sicht und den Bezug zum Kunden. Eine Prozesslandkarte ist wahrlich eine wunderbare Sache. Ein geschulter Prozessmanager erkennt sofort, ob Ihre Prozesse zielführend oder eher lückenhaft organisiert sind.

Hand aufs Herz: Prozesse haben zu Beginn einen etwas abstrakten Charakter, wenn man sich nie damit befasst hat. Aber je mehr man sich damit auseinander setzt, umso logischer wird es. Ist man erst einmal geübt, lassen sich komplexe Fragestellungen der Gemeinde um ein vielfaches leichter beantworten als wenn man in Hierarchien und Funktionen denkt. Denn ein konservatives Hierarchiedenken macht sich komplett von Personen und Menschen abhängig, nicht so eine prozessuale Denkweise.

 

Das Denken in persönlichen Prozessen

Denken Sie zum Beispiel an das Thema der körperlichen oder seelischen Heilung. In wie vielen Fällen hören wir von sofortigen und willkürlichen Heilungswunder? Die Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten, denn meistens hören wir von dramatischen Sofortheilungen - vermutlich deswegen, weil sie spektakulär sind und sich besser erzählen lassen als langsame Heilungsprozesse. Aber denken Sie nun doch einen Moment etwas genauer über folgende Frage nach: Wie oft hören wir bei genauerem Zuhören, dass ein längerer Prozess vorausgegangen ist? Ich schätze das Ratio von langsamen Heilungsprozessen zu sofortigen Heilungen auf 99 Prozent zu 1 Prozent. In 99 Prozent aller Heilungsgeschichten, ist ein gewisser Prozess vorausgegangen. Es gibt sogar eine These, die davon ausgeht, dass alle Gläubigen bereits geheilt sind, genau wie Ihnen die Sünden vergeben sind. Die Gläubigen müssen diese Heilung quasi bloss noch annehmen und eines Tages wird die Heilung dann eintreten. Ich möchte die Richtigkeit dieser theologischen Auslegung nicht kommentieren, aber sie gefällt mir, weil sie exemplarisch auf prozessuales Denken baut. Der Heilungssuchende denkt "Ich befinde mich in einem Heilungsprozess". Der Input ist mein Dispositiv, die Behandlung ist mein Glaube an die Heilung und die Interaktionen daraus und der Output ist die eingetretene Heilung. Verstehen Sie? Das ist quasi ein "kleiner Teilprozess" im Leben eines jeden Christen. Jeder braucht irgendwo Heilung. Jeder befindet sich irgendwann in einem solchen Prozess. Die Frage ist, ob er ihn als Prozess anerkannt und sich darauf einlässt oder ob er sich dem Prozess widersetzt. Es könnte ja sein, dass man eben der Überzeugung ist, dass Heilung willkürlich und dramatisch eintreten muss. Hegt man solche Glaubenssätze, wird man sich zwangsläufig einem Heilungsprozess in den Weg stellen.

 

Das Beispiel von Herrn Zuckertörtchen

Das Schöne am Prozessgedanken ist auch, dass ich mir selber auch überlegen darf, was denn "mein Beitrag" zur Lösung ist. Ein kleines Beispiel: Herr Zuckertörtchen arbeitet als Berater und ist viel unterwegs. Deswegen kommt er nicht regelmässig zum Essen und nimmt oft an üppigen Geschäftsessen teil. Aufgrund seines Essverhaltens kämpft er seit Jahren mit Übergewicht. Daraus resultierend leidet er schon lange an diversen Symptomen wie Rückenschmerzen, Verspannungen, hoher Blutdruck und Cholesterinwert, warum er auch Medikamente zu sich nimmt. Bei einem Arzt-Besuch  prophezeit dieser, dass es durchaus möglich werden kann, dass Herr Zuckertörtchen in absehbarer Zeit auch Diabetes mellitus Typ 2 bekommen könnte. Nun ist aber für Herrn Zuckertörtchen Ende Gelände. Er ist gläubiger Christ und erklärt seinen Symptomen den geistlichen Kampf an. Er geht ins Gebet und erhofft sich ein Wunder. Rückenschmerzen, Verspannungen, hoher Blutdruck und Cholesterinwerte sollen weichen und ganz sicher möchte er nicht Zuckerkrank werden! Deswegen sucht er nun auch Heilungsgottesdienste auf, allerdings nur mit mässigem Erfolg. Zuckerkrank wird er zwar glücklicherweise nicht, aber die restlichen Symptome verschwinden nicht markant. Nach einem erfüllenden Gottesdienst fühlt er sich zwar jeweils zwei Tage etwas leichter, aber die medizinischen Fakten sind insgesamt noch nicht besser geworden. Einige gläubige Freunde empfehlen ihm, im Glauben die Medikamente abzusetzen, um dann Gott wirken zu lassen. Auch sonst bekommt er von Dritten viel Gebet und viele gutgemeinte Ratschläge. Herr Zuckertörtchen fühlt sich ganz sicher liebevoll umsorgt - aber faktisch gehen die Symptome leider nicht wesentlich weg.

Würde man eine Prozesslandkarte vom Leben des Herrn Zuckertörtchen zeichnen, könnte der Kernprozess relativ dramatisch mit einem Herzversagen enden, sofern er nichts an seinem Lebensstil ändert. So könnte Herr Zuckertörtchen seine Reifephasen des Lebens leider nicht mehr geniessen. Es ist darum ratsam sich von Zeit zu Zeit zu fragen, wo man in seinem Leben steht und wie die weiteren Prozesse und Szenarien aussehen sollen.

Was will uns die Geschichte von Herrn Zuckertörtchen sagen? Wie Sie sich schon selber denken können, ist die Wahrheit an diesem Punkt ganz einfach: Wenn Herr Zuckertörtchen seinen Lebensstil ändert, sich gesund beginnt zu ernähren, regelmässig Sport treibt, wird sein selbstverursachtes Übergewicht und seine Symptome auf unspektakuläre Weise verschwinden. Warum soll Gott ein Wunder tun, wenn wir das relativ einfach selber erreichen können? Sicherlich nicht von heute auf Morgen, aber ehrlich gesagt, hat Herr Zuckertörtchen seine Pfunde auch nicht über Nacht erworben - auch das war ein langwieriger Prozess. Herr Zuckertörtchen muss lernen, Verantwortung für seinen Körper zu übernehmen und ihn adäquat zu pflegen. Es empfiehlt sich, eine Methode wie zum Beispiel Kaizen anzuwenden, wo man jeden Tag einen kleinen Schritt für seinen Erfolg tun kann, ohne sich zu überfordern. Und Gott hilft dem Herrn Zuckertörtchen, in dem er sein Selbstbild und Selbstwert neu definiert.

 

Vom Ist- zum Soll-Prozess

Das denken in Prozessen hilft, zielorientiert unterwegs zu sein. Sie erkennen, dass ein Ist-Zustand nicht dem gewünschten Soll-Zustand entspricht. Sie definieren, wie der Soll-Zustand aussieht und müssen sich überlegen, welcher Weg dahin, der Beste und effizienteste ist. Das wäre dann der Soll-Prozess dazu. Die Beispiele der spontanen Heilung wie auch die Geschichte von Herrn Zuckertörtchen sind persönliche Prozesse. Es gibt aber auch Prozesse, die eine Funktionsweise einer Organisation zeigen, zum Beispiel die von Ihrer Kirche oder Ihres Unternehmens. Wir sprechen nun über sogenannte Betriebsprozesse.

 

Die Prozesslandkarte (PLK) einer Gemeinde

Lassen wir die persönlichen Prozesse nun beiseite und betrachten wir, was die Gesamtprozesse einer Gemeinde sein können. Hat jede Gemeinde ein und die selbe Prozesslandkarte? Ich stelle Ihnen eine Gegenfrage: Haben gemäss der Bibel alle Gemeinden ein und die selbe Aufgabe und Ausprägung? Nicht zwingend. Genau aus diesem Grund müssen auch nicht alle Prozesslandkarten exakt gleich aussehen. Dies ist zudem auch abhängig vom Reifegrad der Gemeinde. Allerdings bin ich der Meinung, dass zumindest zwei Kernprozesse in allen Gemeinden der Welt inhaltlich gleich sein sollten - das sagt aber noch nichts darüber aus, wie diese Prozesse gelebt werden. Grundsätzlich kann man sicherlich generische Empfehlungen abgeben, wie eine PLK organisiert sein könnte.

Ich zeige Ihnen ein Beispiel einer möglichen 1. Ebene einer Prozesslandkarte. Diese lässt sich natürlich je nach dem vereinfachen oder aber auch komplexer Zeichnen. Sie können aber auch mit weiteren Ebenen arbeiten, wo Sie weitere Granularitäten aufdröseln. Das Beispiel dieser ersten Prozesslandkarten für Gemeinden ist ein Prototyp. Abgeleitet wurde sie von der Prozesslandkarte in dem Spital ich für das Prozessmanagement verantwortlich bin. Ich bin der Überzeugung, dass wir eine äusserst reife Prozesslandkarte erarbeitet haben. Wir haben uns seit Jahren mit der Entwicklung von PLK auseinander gesetzt, kennen diverse Branchen und deren PLK. Aus dieser Reife heraus entwarf ich diesen ersten Prototypen für Gemeinden.

 

Siehe Grafik unten: Prozesslandkarte Lean Church.

 

Wir unterscheiden klassisch in die Management-, Kern- oder Leistungserstellungs- und Supportprozesse. Das ist bewährte Managementlehre. Welches ist die wichtigste Ebene? Richtig, die Kernprozessebene. Warum? Weil darin die Legitimation der Gemeinde enthalten ist. Die Gemeinde existiert um Menschen in eine Gemeinschaft mit Jesus Christus zu führen und um zu lehren was es bedeutet, in dieser Gemeinschaft zu leben. Zeigt die Prozesslandkarte einen anderen Kernprozess, liegt der Verdacht nahe, dass die Gemeinde ihr Ziel verfehlt. Diese beiden genannten Prozessschritte lassen sich natürlich weiter unterteilen. Es gibt diverse Modelle von bewährten Gemeinden, welche den Prozess trefflich umschreiben.

Weiter sehen sehen Sie 9 Geschäftsprozesse gezeichnet. Diese sollen die Funktionsweise ihrer Gemeinde möglichst trefflich beschreiben. Es soll das beschrieben sein, was es braucht, damit Ihre Gemeinde erfolgreich funktioniert. Selbstverständlich können die wichtigsten Geschäftsprozesse variieren, einerseits anzahlmässig, andererseits inhaltlich.

Zu beachten gilt, dass Sie nicht zu viele Hauptgeschäftsprozesse definieren, sondern relativ wenige. Wir haben uns im Spital zurzeit auf deren 9 beschränkt. Ich empfehle in der Regel zwischen 7 und maximal 11 Geschäftsprozessen zu zeigen im ersten Level. Unter 7 empfinde ich als zu oberflächlich, so dass die PLK keine Aussagekraft mehr aufweist. Mehr als 11 Geschäftsprozesse bedeutet, dass man zu wenig abstrahiert und zu komplex denkt. Die Gefahr ist hoch, dass man den Überblick verliert.

 

Die Prozesslandkarte soll die aktuelle Strategie der Gemeinde möglichst gut abbilden. Es kann also sein, dass wenn die Stossrichtung dahin geht, dass ein Bereich wie beispielsweise wie die ICT Infrastruktur oder der Schulungs- und Lehrbereich ausgebaut werden sollen, dies speziell hervorgehoben werden darf. Wie gesagt, soll eine PLK den Ist-Zustand plus ein bis zwei Jahre der Zukunft zeigen. Danach soll die PLK wieder angepasst werden.

 

Spannend wird es nun bei den Management- oder Führungsprozessen und bei den Supportprozessen. Wenn Sie in der Gemeindeleitung tätig sind und hierbei nicht Nervenkitzel bekommen, verstehe ich die Welt nicht mehr. Hier entscheidet sich, ob Sie prozessual an alles gedacht haben oder nicht. Eine Prozesslandkarte ist übrigens auch ein wunderbares Analysetool um mögliche Konflikte oder Schnittstellenprobleme zu orten. Wir nutzen die Prozesslandkarte um den Stakeholdern zu zeigen, wo wir in den Prozess eingreifen und was wir dort genau machen. So kann man zum Beispiel bei Projekten den Inhalt eingrenzen um einem typischen Scope Creep vorzugreifen.

 

Der Nutzen von Prozesslandkarten

Eine Prozesslandkarte zeigt in der Regel den Ist-Zustand und einen Forecast von bis zu zwei Jahren auf. Wenn Sie Ihre Prozesslandkarte Ihrer Gemeinde definiert haben, sollten Sie in der Lage sein, jedem Leiter und sogar Mitglied zu zeigen, wie Ihre Gemeinde funktioniert. Nicht funktionsbezogen, das ist die Aufgabe einer Aufbauorganisation und wird durch ein Organigramm gezeigt, sondern prozessual - was passiert in der Gemeinde und warum. Sie können aber auch zeigen, wenn etwas nicht gut läuft, zum Beispiel wenn eine Schnittstelle fehlt oder ein Ablauf regelmässig Scherereien verursacht. Nun haben Sie ein Werkzeug in der Hand mit welchem Sie wie ein Schiffkapitän navigieren können und die internen Abläufe kennen sollten. Also das, was quasi auf Ihrem Boot passiert.

 

Die PLK dient also einerseits als Führungs- und Steuerungstool, als Diskussionsgrundlage, als Grundlage für Messbarkeit und für den Know-how-Transfer. Sie kann deskriptiv (Input, Prozess, Output, Kennzahl) sein aber vor allem nützt sie, wenn sie auch visualisiert ist. Denn dort kann gezeigt werden, was voneinander abhängig ist.

 

Prozesse wertschöpfend gestalten

Wenn Sie Prozesse gestalten, gibt eine wichtige Regel. Prozesse sollen aktiv benannt sein und nicht passiv. Wenn Ihr Prozess beispielsweise "Mitarbeiter" heisst, ist das leider kein Prozess. Ein Prozess wird immer mit einem Objekt und einer Verrichtung beschriftet. Dies soll beschreiben, was in diesem Prozess gemacht wird. Vermeiden Sie aber lange Prozessnamen oder halbe Aufsätze in einem Prozess. Er soll so knapp wie möglich sein, aber immer noch so, dass ihn jeder Betroffene versteht. Zum Beispiel kann er "Mitarbeiter führen" oder Mitarbeiter rekrutieren" oder "Mitarbeiter entwickeln" heissen. Dazu gehören immer ein Input und ein Output. Also ein Zustand vor dem Prozess und der Zustand nach dem Prozess. Wenn Sie dies erstellen, sollten Sie eine „Brille“ aufsetzen. Und zwar die Brille des Kunden, welche die Sicht der Wertschöpfung aus seiner Sicht sieht.

 

Die Gemeinde mithilfe von Kennzahlen steuern

Wenn Sie ihre Gemeinde steuern wollen, brauchen Sie ein paar wichtige Kennzahlen, an welchen Sie erkennen können, ob Ihr Schiff in die richtige Richtung steuert oder nicht. Kennzahlen können Sie aber erst generieren, wenn Sie wissen, was Sie zu messen haben. Darum sollten Sie die wichtigsten Prozesse identifizieren und sie mit Kennzahlen versehen. Diese Kennzahlen können Sie dann in Ihrem Steuerungs-Cockpit verwenden und in der Führung transparent machen.

 

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